Europa braucht den Neustart

Philipp Gliesing

Ein Kommentar zum Besuch von Sahra Wagenknecht

Die Demokratie und der Sozialstaat sind weitestgehend ausgehebelt, die „Reformen“ der Bundesregierungen entpuppen sich als knallharte Umverteilungsmaßnahmen zu Gunsten der Reichen und in ganz Europa werden die Menschen gegeneinander ausgespielt.  

Europa – was ist das? Ein Kontinent, ein Bündnis von Staaten, ein Projekt der Eliten, eine Wirtschaftszone? Für mich als jungen Menschen, der 1990 eingeschult worden ist, bedeutete es vor allem mit meinen Eltern regelmäßig ins „europäische Ausland“ zu reisen. Am Anfang mit Passkontrolle, nun relativ bewegungsfrei. Später, in meiner Jugendzeit, prägte sich meine europäische Identität zusätzlich durch einen Trip nach Portugal. Ja, ich fühle mich als Europäer, weil ich Menschen getroffen habe, die die gleichen Probleme haben, wie wir. Und weil wir eine gemeinsame Geschichte zu erzählen haben.

Ein Gespenst geht um in Europa

Sahra Wagenknecht, stellvertretende Parteivorsitzende der LNKEN, plädierte vor den über 200 Teilnehmern, die zur Saalveranstaltung am 12. Juni in Neustadt/Orla geströmt kamen, dafür den „Euro nicht ohne Wenn und Aber“ zu halten. Es kann nicht sein, dass die Menschen weiter an die Wand gedrückt werden, während die „Bankenretter“ Milliarden an die Verursacher der Krise aushändigen. Wagenknecht spricht unumwunden von einer „Finanzmafia“, die sich mit ihrer Agenda die Ausplünderung der Staatshaushalte und Spareinlagen zum Ziel gesetzt hat. Die deutschen Spitzenverdiener und Konzernzentralen profitierten vom Wettbewerb in der Eurozone am meisten – nichts davon kam bei den Menschen an. Im Gegenteil: Reallöhne stagnierten, Kaufkraft sinkt und HartzIV ist Armut per Gesetz. Egal, wie sie die Krise nennen, sie ist Teil eines überholten Wirtschaftsmodells.  

Für Verwirrung hatte die Wagenknecht-Aussage zum Euro-Ausstieg im Vorfeld gesorgt, weil die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) in einigen Punkten ihres „Euro-Ausstiegsszenarios“ von der LINKEN abgeschrieben hat. Der große Unterschied zwischen der LINKEN und der reaktionären AfD-Truppe ist aber mehr als deutlich: Nur eine „Alternative für Europa“, die soziale Standards und solidarische Arbeitsmarktkonzepte sichert, ist im Stande den sozialen und zivilen Frieden sowie nachhaltige Entwicklung in Umwelt, Bildung und Wirtschaft zu erreichen.

Die Bundesregierungen haben seit 1990 in ganz wesentlichen Punkten europapolitisch versagt und tragen eine Mitschuld an der Schieflage in Europa. Ein Blick in die Geschichtsbücher hätte genügt. Der Rand von Europa, die Peripherie, litt schon immer durch die Macht- und Handelszentren in Mitteleuropa und wurde an einer stabilen Entwicklung gehindert. Wer heute wieder eine Ausgrenzung der Südländer fordert und kleine Länder, wie Zypern Mal eben so ausnimmt, macht sich die Hände schmutzig, und kehrt zurück ins Mittelalter.

Millionen von Menschen wehren sich schon heute gegen die autoritäre Krisenpolitik der Troika  (EZB, IWF, EU-Kommission)! Die europäischen Protestbewegungen könnten den entscheidenden Impuls für eine soziale und demokratische Union geben. Es gilt diesen Willen politisch zu vertreten und programmatisch Auszuarbeiten.

LINKE steht geschlossener denn je im Wahlkampf!

Bezeichnend für die politische „Alternativlosigkeit“ des selbsternannten „bürgerlichen“ Lagers von  CDU, FDP, bis hin zu weiten Teilen der SPD-Vorstände, ist der bisherige Wahlkampf zur Bundestagswahl verlaufen. Angela Merkels CDU-Wahlprogramm könnte auch den Titel „Das neoliberale Manifest“ tragen und ist im besten „demokratischen“ Stil vom Parteivorstand  durchgewunken worden. Den Scherbenhaufen der Schwarz-Gelben-Koalition wird Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (SPD) wohl nur noch vergrößern, sollte er in der Lage sein eine Regierung zu bilden. Absehbar ist eine Große Koalition + Ministerposten für ihn, denn eine Rot-Rot-Grüne-Regierung wird von den „Genossen der Bosse“ ja kategorisch ausgeschlossen.

Mit ihrem Wahlprogramm hat DIE LINKE einen ernsthaften und detaillierten Politikentwurf vorgelegt, der die vielfältigen Interessen ganz unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen beantwortet. Besonders hervor zu heben, ist die Tatsache, dass DIE LINKE als einzige Partei konkrete Finanzierungsmodelle für einen sozial-ökologischen Umbau vorlegt. Auch das Steuerkonzept der LINKEN spricht für die jahrzehntelange bundespolitische Erfahrung und eine realistische Einschätzung der notwendigen Maßnahmen, um soziale Gerechtigkeit zur Grundlage unseres Zusammenlebens zu machen!

Mit den Bundesvorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger ist ein neuer Wind spürbar, der einerseits eine realistische Perspektive auf Regierungsbeteiligungen wirft, andererseits sehr nah an den Sorgen und Nöten der Menschen dran ist.

Es gilt heute mehr denn je, wie Bernd Riexinger so schön sagt: Je stärker DIE LINKE, desto sozialer das Land! Wir sind als Bürger dieses Landes angetreten, um das glaubwürdig zu vertreten, was die meisten Menschen denken und fühlen. Es kann so nicht weiter gehen! Die Logik des Kapitalismus hat kriminelle Auswüchse befördert und ist das schleichende Gift für Umwelt und den Menschen. Wenn das zu abstrakt klingt, dann folgen Sie den Geldströmen im Finanzdschungel, folgen sie den neuesten militärischen Exportschlagern, folgen sie den Ölpipelines, folgen sie einem afghanischen Kind auf der Flucht durch Europa, folgen sie einem Menschen auf die ARGE oder zur Tafel – dann wissen sie, was wir gemeinsam zu tun haben!

Besonders an die junge Generation gilt mein Appell: Habt den Mut zum kritischen Hinterfragen und versucht euch Wissen anzueignen, mit dem ihr unsere Welt verändern könnt. Wir haben Verantwortung! Wir wollen Zukunft! Wir lieben die Freiheit statt die Angst!