Hunderte demonstrieren in Greiz für und gegen Asylbewerberheim

OTZ, Marius Koity
Flucht & MigrationPhilipp Gliesing

Hunderte demonstrieren in Greiz-Pohlitz vor allem für, aber auch gegen das Asylbewerberheim. Polizei bilanziert "insgesamt friedliches" Geschehen. Die Straßensperrungen empfanden Einheimische als "Belagerungszustand".

Hunderte demonstrieren in Greiz-Pohlitz vor allem für, aber auch gegen das Asylbewerberheim. Polizei bilanziert "insgesamt friedliches" Geschehen. Die Straßensperrungen empfanden Einheimische als "Belagerungszustand".

Greiz. "Alles gut!", antwortete Rhula al Barghoth auf Deutsch, als sie auf Englisch gefragt wurde, wie es ihr geht. Vor zwei Monaten, als die Syrerin ins Asyl­bewerberheim in Greiz-Pohlitz einzog, verstand sie kein Wort der Einheimischen. Jetzt, nach den ersten Deutsch-Stunden, be­reitet es ihr eine große Freude, die Wörter und Wendungen einzusetzen, die sie in den letzten Wochen gelernt hat.

Mit Flüchtlingen aus hiesigen Asylbewerberheimen konnte man am Sonnabend auf einer der Versammlungen mit dem Leitmotiv "Miteinander leben" in Greiz-Pohlitz ins Gespräch kommen, und zwar auf jener der Bürgerinitiative "Weil wir Greiz lieben", die am Zaschberg die Stellung hielt. Rhula al Barghoth und die ebenfalls aus Syrien stammende Reham Zazaa erzählten, dass sie es kaum erwarten können, die Papiere zu erhalten, die ihnen die Aufnahme einer Arbeit erlaubt. Bildung für ihre Kinder nannten sie als zweites Ziel. "Wir wollen mit dem rich­tigen Leben beginnen", sagte Rhula al Barghoth. Sie wollen den Deutschen nicht auf der Tasche liegen, versicherten die aus einem bürgerkriegserschütterten Land geflohenen Frauen. Sie möchten nur in Frieden leben.

Die ersten Syrer, die vor Wochen im Asylbewerberheim in Greiz-Pohlitz einquartiert wurden, können sich diesen Traum schon erfüllen. Im ökumenischen Friedensgebet in der Pohlitzer Kirche war am Sonnabend zu hören, dass eine Familie die Aufnahme-Bürokratie überstanden hat und mittlerweile nach Nordrhein-Westfalen gezogen ist. In der ersten Reihe des Gotteshauses lauschte Land­rätin Martina Schweinsburg "(CDU) den Fürbitten oder Berichten Einheimischer über ihre Begegnungen mit Fremden. Derweil wurde ein paar hundert Meter weiter nach Kräften auf sie - und eine ganze Reihe an­derer Leute - verbal ein­gedroschen, sowohl in Reden auf der "Veranstaltung rechts", als auch in welchen auf der "Veranstaltung links", wie die Polizisten aus mindestens drei Bundesländern das Geschehen stark vereinfacht einteilten.

Wir beten auch für die Menschen, die den Flüchtlingen Angst machen.

Bernhard Wolfrum während des ökumenischen Gottes-dienstes in der Pohlitzer Kirche "Die Kerle tun mir echt leid", sagte eine ältere Pohlitzerin über die jungen Uniformierten an der nächsten Absperrung. "Aber muss das alles sein?", fragte sie sich, auf die Gitter verweisend. Straßen waren quer oder der Länge nach gesperrt, "Belagerungs­zustand!" schimpfte ein kräftigerer Mann. Seinen Namen wollte er ebenso wenig nennen wie die ältere Dame. Wovor haben sie denn Angst? Schulterzucken und Schweigen waren die Antwort. Nur Günter Macha stand zu seinen Worten. Auf den Umzug an der Spitze mit Antifa-Leuten, die sich wie immer hinter ihren Bannern versteckten, und dem "Lauti" des streitbaren Jenaer Jugendpfarrers Lothar König verweisend, sagte der 78-jährige Pohlitzer: "Ich finde es gut, dass sich junge Leute politisch engagieren. So kann das nicht weitergehen!"

Bezogen auf den Umgang mit Flüchtlingen fanden das nebst vielen Einheimischen auch viele Linke oder Jungsozialisten aus mehreren anderen thüringischen Städten. So waren am Sonnabend Constanze Trusch­zinski und Philipp Gliesing aus Pößneck in Greiz-Pohlitz an­zutreffen. Mancher Einheimische würde die Mutter dreier Kinder und den jungen Vater Demo-Touristen schimpfen. Sind sie nicht, sagten die Beiden. Greizer hätten geholfen, als es galt, den Neonazis das Pößnecker Schützenhaus als Stützpunkt zu vermiesen, jetzt helfen sie den Greizern, brauner Brut Paroli zu bieten, brachte Truschzinski vor. "Es geht uns um den Protest gegen die falsche Flüchtlingspolitik in Thüringen", erklärte Gliesing.

Als die Asylbewerberheim-Gegner um den aus der rechten Szene bekannten David Köckert ihr Licht ausmachten, gab es bei der Bürgerinitiative "Weil wir Greiz lieben" um Martina Högger noch heiße Kürbissuppe. Mit dieser wärmten sich auch die Teilnehmer der mittlerweile am Zaschberg eingetroffenen Linke-Versammlung um die Landtagsabgeordnete Katharina König , die ebenso zu Wort kam wie Michael Ebenau von der IG Metall. Nach der Geschichte mit dem "rassistischen Drecksnest" vom 9. November beteuerten beide, dass keiner die Absicht habe, die Greizer zu beleidigen. Eine Entschuldigung für die Ver­unglimpfung hört sich anders an, fand man in den Reihen der gastgebenden Bürgerinitiative. Einen denkwürdigen, das gesamte Sonnabend­geschehen beschreibenden Satz hinterließ zwischendurch Martina Högger: "Die Angst vor dem Fremden betrifft nicht nur die Aus­länder, sondern auch die Andersdenkenden."

Als solche stellten sich die Asylbewerberheim-Gegner gern dar. Wes Geistes sie tatsächlich sind, zeigten sie mit der Einladung von Patrick Wieschke, Thüringen-Chef der NPD, an ihr Mikrophon. "Was ist das nur für ein Land, in dem jeder Chaot, Halbkriminelle und Faschist eine Demonstration anmelden kann und diese auch noch genehmigt bekommt", ärgerte sich der SPD-Stadtrat Harald Seidel.

Polizeidirektor André Röder von der Landespolizei Gera wertete das Sonnabendgeschehen in Greiz als "ins­gesamt friedlich". Bei den Asylbewerberheim-Gegner zählten die Ordnungshüter 185 Teilnehmer, auf den Solidaritätskundgebungen 400. Die Angaben der Veranstalter liegen höher. Zur "Ver­anstaltung rechts" habe es eine Straftat, drei Ordnungswidrigkeiten und acht Sicherstellungen "verbotener Gegenstände" gegeben. Auf der anderen Seite wurden fünf Platzverweise und eine Ordnungswidrigkeit bi­lanziert.