Über jüdisches Leben in Pößneck

OTZ, Brit Wollschläger
KulturPhilipp Gliesing

ABC-Geschichtswerkstatt vom Verein Pößneck Alternativer Freiraum und Stadt Pößneck geben "Wegweiser für Erinnerung, Verständigung und Zivilcourage" heraus. Ab sofort auch thematische Stadtführungen im Angebot.

ABC-Geschichtswerkstatt vom Verein Pößneck Alternativer Freiraum und Stadt Pößneck geben "Wegweiser für Erinnerung, Verständigung und Zivilcourage" heraus. Ab sofort auch thematische Stadtführungen im Angebot.

Pößneck. Wo das Bindersche Kaufhaus in Pößneck war, wissen die meisten Pößnecker genau. Viele wissen auch, dass David Jakob Binder und seine Frau Hedwig der jüdischen Gemeinschaft angehörten und in der Breiten Straße ein sehr erfolgreiches Geschäft führten. Bis die Nationalsozialisten die Existenzgrundlage auch dieser jüdischen Familie zerstörte, das Geschäft vor fast 75 Jahren beschlagnahmte und die meisten Familienmitglieder wie tausende weitere Juden deportieren und ermorden ließ. Seit 2008 erinnern so genannte "Stolpersteine", das sind pflastersteingroße Messingplatten mit Namen, Geburts- und Todesjahr, in der Breiten Straße in Pößneck an die jüdische Familie Binder. Sie sind Teil einer neuen Erinnerungskultur zum jüdischen Leben in Pößneck.

"Es waren unsere Nachbarn. Menschen wie du und ich", erinnert Philipp Gliesing. Der 30-Jährige ist Autor und Gestalter einer jetzt veröffentlichten Broschüre über das jüdische Leben in Pößneck, die die ABC-Geschichtswerkstatt vom Verein Pößneck Alternativer Freiraum gemeinsam mit der Stadt Pößneck herausgibt.

Spannende Spurensuche nach verschwundenen Pößneckern

Seit mehr als zehn Jahren, seit der Erarbeitung seiner Seminarfacharbeit am Gymnasium Am Weißen Turm in Pößneck beschäftigt er sich mit dem Leben der Juden in dieser Stadt. Es sei eine "spannenden Spurensuche nach verschwundenen Pößneckern" gewesen, so der Autor, der inzwischen eine bemerkenswerte Sammlung an Fakten, Dokumenten und Fotos zum Thema zusammengetragen hat. Aber viele Jahre habe ein Mantel des Schweigens auch in Pößneck über diesem Thema gelegen, erinnert Gliesing. Kulturamtsleiterin Julia Dünkel nennt Philipp Gliesing "den Spezialisten für jüdisches Leben in Pößneck".

Wo genau die jüdischen Familien in Pößneck wohnten und Geschäfte betrieben, kann man ab sofort auch bei thematischen Stadtführungen zum jüdischen Leben in Pößneck erfahren. Man kann diese Führungen in der Stadtinformation Pößneck buchen - und dort auch die Broschüre erhalten. Darin werden "die Lebensgeschichten von zehn jüdischen Pößnecker Familien vorgestellt, die auf ganz unterschiedliche Weise durch die antisemitische Staatspolitik von 1933 bis 1945 geschädigt, isoliert und verschleppt worden sind. Teilweise können diese Schicksale umfassend rekon­struiert werden. Insgesamt 19 Seiten mit Bildern, Dokumenten und biografischen Angaben machen vor allem eines deutlich - den Verlust. Ein Verlust nicht nur für Angehörige, Freunde, Kunden und Arbeitskollegen, sondern auch für die Stadt Pößneck, die sich ab 1933 radikal verändert hatte", so Gliesing.

Die Broschüre steht natürlich auch für Schulprojekte zum Thema oder Führungen von Vereinen zur Verfügung. Finanziell unterstützt wurden Recherchen, Gestaltung und Druck vom Lokalen Aktionsplan für Vielfalt in Pößneck (LAP) im Rahmen des Bundesprogrammes "Toleranz fördern - Kompetenz stärken", erklärt Falko Heimer vom LAP.

Weitere Zeitzeugen bzw. Hinweise Dokumente, Gegenstände aus der Zeit, in der jüdische Familien in Pößneck lebten und Geschäftsleute hier tätig waren, sind bei Philipp Gliesing und der Stadt Pößneck willkommen.

Außerdem soll es bald weitere Stolpersteine geben, die im Pflaster der Stadt Pößneck an damalige jüdische Mitbürger erinnern sollen. Dafür werden auch Paten gesucht, die sich beispielsweise an den Kosten der Anschaffung beteiligen.

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