Europa-Wanderung im Orlatal

Redaktion

Im Gedenken an die Opfer der KZ-Todesmärsche im April 1945 und die ermordeten und verschleppten Zwangsarbeiter im Orlatal.

Anlässlich des 69. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald veranstalteten die Kreisverbände des Saale-Holzland-Kreises und des Saale-Orla-Kreises eine Europa-Wanderung durch das Orlatal.

Erinnert wurde an die Geschichte der Zwangsarbeit im Orlatal und der KZ-Todesmärsche vom April 1945.

Das Gasthaus „Zum Schwan“ in Freienorla wurde im April 1944 als Zwangsarbeiter-Lager für das geplante unterirdische Rüstungswerk im Walpersberg bei Kahla genutzt. Auch in Langenorla am Massengrab der Slowaken und Italiener, sowie an der Friedenssäule am ehemaligen Außenlager der REIMAHG in Kleindembach wurde offenbar, welche Ausmaße die Zwangsarbeit in den Rüstungswerken am Walpersberg gehabt hatte.

So waren zeitweise tausende Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern Europas unter schlimmen Bedingungen untergebracht. "Sauleiter Gauckel", wie Fritz Sauckel im Volksmund später hieß, war als "Generalbevollmächtiger für den Arbeitseinsatz" maßgeblich für die Verschleppung und Ausbeutung der Menschen verantwortlich.

Bürgermeister Georg Graven berichtete an der Friedenssäule von der bis heute sehr aktiven Erinnerungs- und Gedenkkultur in der Gemeinde Langenorla. Neben dem jährlich stattfindenden "Fest der Völkerverständigung", mit internationaler Beteiligung und fester Verankerung im Gemeindeleben, sind es vor allem die langjährigen Kontakte zu Überlebenden und Angehörigen in Belgien, Italien und andere Ländern, die Versöhnung und Verständigung möglich machen.

Gedenkkultur wird lebendig, wenn Menschen - ganz unabhängig von politischer Einstellung oder religiöser Einstellung - zusammen finden, um sich der Geschichte bewusst zu werden.

Die Gedenksteine in Freienorla und Pößneck markieren den Weg jener KZ-Häftlinge, die kurz vor Kriegsende zu Tausenden auf Gewaltmärschen ins Hinterland laufen mussten. Viele haben diese Todesmärsche nicht überlebt – allein im Gebiet um Pößneck starben 67 Menschen.

Mit der Wanderung, die vor dem Hintergrund des 69. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald initiiert worden ist, wird auch der Bogen zum historischen Erbe in Europa gespannt.  

Philipp Gliesing: "Im Gedenken an die Opfer der Zwangsarbeit im Orlatal und der KZ-Todesmärsche vom April 1945 wollen wir gemeinsam über die Kreisgrenze wandern und unseren Blick auf das Erbe Europas richten. Ein klares Bekenntnis zu mehr sozialer Gerechtigkeit und einer friedlichen EU-Außenpolitik leitet sich vor allem aus den Lehren zweier Weltkriege und des "Kalten Krieges" ab."

 

W a n d e r u n g
Freienorla - Pößneckhttps://www.facebook.com/pages/P%C3%B6%C3%9Fneck/104083719629539

10:00 Uhr - Start- und Treffpunkt am Gedenkstein in Freienorla (Friedhof)

12:00 Uhr - Mittagspause und Zwischenstationen in Langenorla (Gasthof zum Orlatal/ Friedenssäule)

15:00 Uhr - Abschluss am Gedenkstein in Pößneck (Chausseehaus)

(Wir empfehlen die Anreise mit dem Zug - aus Pößneck 9:45 Uhr - Unterer Bahnhof)

B e g l e i t u n g

Die Wanderung wurde begleitet von Philipp Gliesing und Markus Gleichmann, die beiden Landtags-Direktkandidaten sind als Regionalhistoriker seit Jahren mit dem Thema vetraut und können Auskünfte zur Zwangsarbeit im Orlatal und den Todesmärschen vom 9. und 10. April 1945 geben.


Z e i t z e u g e n - D o k u m e n t

Der „Todesmarsch“ durch Pößneck und Umgebung

Wir arbeiteten am Montag, dem 9. April, auf dem Felde, als sich von der Straße von Oppurg herauf ein Zug Menschen näherte. Es mochten vielleicht 300 bis 350 Mann sein. Soviel man durch die große Entfernung sehen konnte, waren es Zuchthaushäftlinge in schwarz-weiß gestreiften Anzügen, begleitet von einer Rotte wüst schreiender, peitschenschwingender Wärter mit ihren großen Schäferhunden (Bluthunden). Wiederholt hörte man auch Schüsse fallen. Um besser sehen zu können, stellte ich mich hinter einen Baum. Jetzt sah ich genau: das waren Häftlinge aus dem Konzentrationslager Buchenwald, meist Juden, die von 20 bis 25jährigen strammen SS-Schergen eskortiert wurden.

Diese SS-Brüder sind natürlich unabkömmlich und reklamiert, während andere Kinder und Greise ihren Dienst in vorderster Front tun müssen. Die Häftlinge waren in ganz heruntergekommenen Zustande und konnten kaum noch vorwärts, hatten sie doch den fast 60 km langen Weg von Weimar bis Daumitsch schon hinter sich. Die wohlgemästeten Schergen schlugen auf die Zusammenbrechenden ein und schrieen sie dauernd zum Weitergehen (Weiterschleichen) an.

Oftmals fiel einer hin, dann purzelten die dahindösenden Nachfolgenden über den Ärmsten her und bildeten ein unentwirrbares Knäuel. Aber gleich sprangen die SS- und Bluthunde herbei und trieben mit Schlägen und Schüssen die Gefallenen wieder auf die Beine. Manche der Häftlinge waren aber so schwach, dass sie trotz der Gummiknüppelhiebe nicht mehr von selbst aufstanden, sondern auf die Beine gestellt werden mussten.

Als einer der Wärter meiner ansichtig wurde, belferte er mich an, mich da weg zu scheren, wenn die am Schluß mit den Hunden kämen, würden sie eins der Viecher auf mich hetzen. Hier gäbe es nichts für mich zu sehen.

In dem Zuge marschierten meistens Männer zwischen 35 und 45 Jahren, hager und abgemagert, blaß und hohläugig, die sich dahinschleppten wie Greise. Einige Jünglinge waren dabei, 17 bis 20 Jahre alt, die reinsten Skelette. Zum Schluss sah ich noch, wie ein Mann mittleren Alters von einem der SS-Schweine im Genick gepackt und in den Wald geschleppt wurde: ‚Komm hierher, hier ist es kühl’ – dann riß er seinen Revolver heraus und gab ihm, nachdem er ihn durch einen Tritt ins Gesäß mit dem Kopf zu Boden gestossen hatte, drei Schüsse in den Hinterkopf.


[…] Am Abend forderte der Daumitscher Bürgermeister die männlichen Bewohner auf, die Toten, es lagen wohl zwölf in der Daumitscher Flur, zu begraben. […] Die Toten wurden in einem Massengrabe an einer Waldschneise zur Ruhe gebettet. […]


[10. April] Gegen 10 Uhr früh passiert ein Zug von etwa 5000 [?] Gefangenen des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar in unbeschreiblichen Zustande die Stadt in Richtung Ziegenrück. Es soll sich um lauter Juden handeln. Die erbarmungswürdigen Menschen brachen fast zusammen vor Müdigkeit und Hunger. Barmherzige Volksgenossen, die Brot überlassen, werden von den Bewachungsmannschaften und einem 150 %igen zurückgetrieben.

Bewohner der Nachbarorte erzählen, man habe viele der Unglücklichen tot oder halbtot in den Straßengräben liegen sehen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Tiefflieger aus Unkenntnis in die Marschkolonne geschossen haben.

Aus: Die Schreckenswoche in Pößneck. Manuskript aus dem Nachlaß von Herrn Metzler

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