Herzlich Willkommen… Und was dann?

Michael Gerner

"Seit zwei Jahren verbringe ich meine gesamte Freizeit bei syrischen, irakischen und afghanischen Flüchtlingen. Es macht mich glücklich, dass ich über 100 Geflüchteten nachhaltig helfen konnte." - Michael Gerner

Es ist der 05.Oktober 2016: Wir befinden uns in der Kleinstadt Pößneck im Saale-Orla-Kreis. Die Redakteurin der Ostthüringer Zeitung (OTZ), Sandra Hofmann, haben wir eingeladen, um über das Schicksal von Qasim Khudhair zu berichten.

Qasim ist 26 Jahre alt, kommt aus dem Irak und wegen einer Muskelerkrankung sitzt er im Rollstuhl. Seit 9 Monaten lebt er zusammen mit zwei Freunden in einer 51 Quadratmeter großen Wohnung. Die Wohnung erreicht man nur über mehrere Stufen, der Zugang zum Bad ist für Qasim ohne fremde Hilfe nicht möglich. Das Bett, alt, kaputt und etwa 30 cm hoch, ist eine Zumutung. Nichts in dieser Wohnung ist behindertengerecht. An den Deutschkursen kann Qasim nicht teilnehmen, es gibt keine barrierefreie Schule im Saale-Orla-Kreis. Alle sind sich einig: Seine Situation ist unzumutbar und nicht hinnehmbar. Die nachfolgende Veröffentlichung in der OTZ zeigte Wirkung. Eine Bekannte meldete sich und überließ uns beinahe umsonst ein manuelles Pflegebett. Einige Wochen später bekam Qasim eine behindertengerechte Wohnung und seit Mai 2017 kann er an einem Deutschkurs der Euroschule teilnehmen, da der Weg zum Klassenraum hier barrierefrei ist.

Qasims Leben ist nur ein Beispiel von vielen, zeigt aber wie wichtig es ist, hinzuschauen und die Situation der Flüchtlinge zu thematisieren. Seit zwei Jahren verbringe ich meine gesamte Freizeit bei syrischen, irakischen und afghanischen Flüchtlingen. Es macht mich glücklich, dass ich über 100 Geflüchteten nachhaltig helfen konnte. Ob es um die Wohnung in Jena, die ich einigen Geflüchteten vermitteln konnte, oder um die Gespräche mit Kinderärzten geht, die dann zu einer Hebammenbetreuung führten. Durch diese Arbeit und durch die damit verbundene Nähe zu den Geflüchteten sind mir ihre vielfältigen Probleme bestens bekannt.

Die Integration in Thüringen läuft bei weitem nicht so positiv, wie es das Ministerium für Migration gern darstellt. Es gibt große Probleme bei der Beschulung der Kinder, bei der Bereitstellung von geeignetem Wohnraum und bei der Vermittlung von angemessener Arbeit. Es sind die Vereine und Privatpersonen, welche Zeit und Kraft in die Probleme der Geflüchteten stecken – und sie am Ende eben auch lösen. Zwar ist es schön, dass sich so viele Menschen einsetzen, aber dass es auch wegen mangelndem Einsatz der Behörden sein muss, ist in vielen Bereichen schlicht nicht hinnehmbar. Denn zum Beispiel die praktische Hilfe bei der Familienzusammenführung oder die Unterstützung bei Klagen gegen den subsidiären Schutz verlangt professionelle behördliche Hilfe. Es kann nicht sein, dass es quasi dem Zufall überlassen ist, ob die Geflüchteten geeignete Hilfe bekommen – denn es kann schon sein, dass der Verein vor Ort für eine Familienzusammenführung nicht qualifiziert ist.

Damit solche Situationen zur Ausnahme werden, versuche ich seit über einem Jahr eine Arbeitsgruppe aufzubauen, der nächste Anlauf soll mit Hilfe der Thüringengestalter am 20. Januar stattfinden. In dieser Gruppe können wir unsere Erfahrungen austauschen, vor allem aber auch gemeinsam mit und für die Geflüchteten arbeiten. Denn sie gehören zu denen, die in dieser Gesellschaft komplett abgehängt sind – und wem, wenn nicht den Abgehängten, gehört unsere Solidarität?