Vor Ort: Versachlichung der Debatte

Philipp Gliesing

Informations- und Diskussionsabend des Kopofor Thüringen e.V. in Neustadt/Orla: Faktencheck zur Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform

Mit dem Veranstaltungsformat „Faktencheck Gebietsreform – Risiko oder Chance?“ bietet KOPOFOR Thüringen e.V.  eine hervorragende Möglichkeit, mit den Bürgern vor Ort über die Notwendigkeit und auch die Chancen der Reform ins Gespräch zu kommen. So auch am Montag, dem 22.08.2016, im Saal des Hotels „Stadt Neustadt“.

Einen einführenden Impuls zum geplanten Ablauf und Hintergrund der strukturellen Veränderungen in Thüringen gab Markus Gleichmann, Vorstandsmitglied des KOPOFOR Thüringen e.V. und erfahrener Kommunalpolitiker der LINKEN im Saale-Holzland-Kreis. Die regionale Situation bewertete anschließend MdL Ralf Kalich (DIE LINKE), Sprecher für Kommunalfinanzen, und wusste von positiven Beispielen freiwilliger Zusammenschlüsse in Hirschberg und ersten Signalen in anderen Gemeinden des Saale-Orla-Kreises zu berichten.  

Notwendigkeit der Reform

Zunächst wehte ein scharfer Wind. Die 35 Teilnehmerinnen hatten viele Fragen im Gepäck. Es wurde deutlich, dass in einigen Gemeinden noch große Unklarheit bei den Bürgern besteht, ob und wie sich die Reform auf ihr persönliches Leben auswirkt. Neben sachkundigen Beiträgen, kamen auch Ängste zum Ausdruck, die auf die grenzwertigen Thesen der Reformgegner zurückzuführen sind. Durch die fachliche Kompetenz der Referenten versachlichte sich die Diskussion jedoch relativ schnell und es konnte deutlich gemacht werden, dass akuter Handlungsbedarf besteht, um eine Ausdehnung der kommunalen Finanznot zu verhindern. Bei deutlich sinkenden Einnahmen und einem Anstieg auf der Ausgaben-Seite, nicht zuletzt wegen der enormen Pensionsleistungen, die das Land in Zukunft erwarten, ist die FVG-Reform geradezu unvermeidlich. Schließlich baut ein funktionierendes Gemeinwesen auf der Leistungsfähigkeit seiner Strukturen auf. Bleibt Thüringen bei der Kleinteiligkeit, werden zu den 81 handlungsunfähigen Gemeinden weitere hinzukommen und in der kommunalen Daseinsvorsorge wird weiter gespart.

 

Ängste ausräumen

Neben Fragen zu den  Gebietskörperschaften, wurde die Sorge geäußert, dass die demokratische Mitbestimmung auf der Strecke bleiben könne, wenn kleine Gemeinden nicht mehr in größeren Zusammenschlüssen vertreten wären. Dass dies nicht der Fall sein wird, regelt ein garantiertes Stimmrecht, wie die Teilnehmer*innen erfuhren. Auch den Vorwurf mangelnder Transparenz und den Verlust an Selbstverwaltung wiesen die Landes- und Kommunalpolitiker im Podium entschieden zurück. Mit dem Vorschaltgesetz und dem weiteren Gesetzgebungsverfahren ist den Kommunen ein transparenter und tragfähiger Weg geebnet worden. Die Sachargumente werden seit Jahren auf Landesebene ausgetauscht und sind auch den Menschen mit kommunalpolitischer Verantwortung bekannt. Es ist deshalb fahrlässig, dass innerhalb bestimmter Verwaltungsgemeinschaften, ganz gezielt eine mittelmäßige Informationspolitik über das Vorschaltgesetz und die FVG-Reform betrieben wird. Die Phase der Freiwilligkeit endet am 31.10.2016 – „freiwillig“ bedeutet in diesem Fall auch „unterstützend“.

Soziale Handschrift

Wer die Historie und die Fakten zur anstehenden „Neugründung Thüringens“, wie Christine Lieberknecht als Ministerpräsidentin die Reform einst ankündigte, verinnerlicht hat, wird über die ablehnende Haltung der Opposition nur mit dem Kopf schütteln. Der einzige Nutzen, den die verschobenen Gesetzesentwürfe der CDU geführten Landesregierung geboten haben, lag darin, dass sich DIE LINKE bereits langfristig um eine eigene Perspektive bemüht hat. Oder kurz gesagt: Lieber jetzt eine kommunale Neuordnung mit Ramelow, als eine Notstrukturreform in naher Zukunft. Auch deshalb ist der gesamte Prozess durchaus als Chance zu sehen. Wenn es um die funktionale Zuweisung der Finanzmittel in die Regionen geht, wird eine sozial-orientierte Handschrift zu erkennen sein. Auch an dieser Stelle wurde die Widersprüchlichkeit der „Selbstverwaltungs-Kampagne“ angeprangert. Denn erst mit einer höheren finanziellen Eigenverantwortlichkeit der Kommunen, werden wieder neue Spielräume zur kommunalen Selbstverwaltung freigesetzt. Dagegen ein Volksbegehren ins Feld zu führen, welches in Thüringen übrigens „dank“ der CDU unter einem Finanzvorbehalt steht und in diesem Fall gar nicht rechtskräftig werden kann, muss als machtpolitische Schaumschlägerei bezeichnet werden. Geradezu unverantwortlich ist es vor allem denjenigen Bürgern gegenüber, die sich (noch) aktiv am Gemeindeleben beteiligen.  

Umdenken

Dabei gibt es Stimmen, die durchaus andere Töne anschlagen und nicht aus dem „Regierungslager“ kommen. So übergab Dietrich Schröner vom Senioren- und Behindertenbeirat der Stadt Pößneck einen Komprmissvorschlag an MdL Ralf Kalich und Markus Gleichmann und warb dafür, dass die bestehenden Verwaltungsgemeinschaften im SOK und SHK insgesamt neun „Bündnisse mit Unter- und Mittelzentrum“ eingehen. Er plädierte dafür, dass in den Gemeinden offen diskutiert wird und eine baldige Einigung von Landesregierung und Opposition von Nöten sei.   

Der Informations- und Diskussionsabend war ein wichtiger Ausgangspunkt für eine offenere und konstruktive Auseinandersetzung zwischen den Städten und den umliegenden Gemeinden in Ostthüringen.