Integration braucht Bildungszugänge

Fraktion DIE LINKE / Flüchtlingsrat Thüringen e.V.

Strukturelle Ausgrenzung Geflüchteter im Thüringer Bildungssystem – Flüchtlingsrat Thüringen e.V. fordert Schule für Alle! // Stellungnahme von MdL Sabine Berninger und MdL Torsten Wolf.

„Dass die im Thüringer Bildungssystem in Bezug auf die Bildungs- und Integrationsmöglichkeiten für junge Zugewanderte gewählten Instrumente und Maßnahmen noch nicht vollumfänglich greifen, dafür bietet der Thüringer Flüchtlingsrat mit seiner aktuellen Publikation ausreichend Belege“, stellen Torsten Wolf und Sabine Berninger für die Linksfraktion fest.  

„Die Umfrage zeigt sehr deutlich: wollen wir den Anspruch, allen gute Teilhabe zu ermöglichen, verwirklichen, dann müssen schnell adäquate Lösungen gefunden werden“, so der bildungspolitische Sprecher Torsten Wolf. Der Landtag habe mit dem Beschluss zur Verbesserung der Beschulung zugewanderter Kinder und Jugendlicher Voraussetzungen für notwendige Veränderungen geschaffen, „nun muss dieser politische Beschluss im System Schule auch umgesetzt werden“.

„Integration braucht Bildungszugänge“, ergänzt Sabine Berninger, Sprecherin für Integrations- und  Flüchtlingspolitik. „Dazu gehört, Möglichkeiten zum Erlernen der deutschen Sprache auch über die Grundlagen hinaus zu schaffen. Sicherzustellen, dass auch fachsprachlicher Unterricht ermöglicht wird, damit die Kids auch dem Unterricht beispielsweise in Biologie zur Photosynthese folgen können.“

„Dass die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und Lernerfahrungen, die die zugewanderten Kids mitbringen, hohe Herausforderungen an Schule stellen und oft strukturell nicht mit dem Gewohnten bewältigt werden können, ist unstrittig. Und anerkennenswert ist, dass viele Lehrerinnen und Lehrer an vielen Thüringer Schulen sich dieser Aufgabe engagiert und sehr motiviert im Sinne der Kinder und Jugendlichen widmen“, so die Abgeordneten. Deutlich sei aber auch, dass die starre Auslegung der Vollschulzeitpflicht dazu führe, dass 16-jährigen häufig mit dem Tag ihres Geburtstages Bildungswege verwehrt würden, dass es Wege brauche, lange Warteschleifen für junge Menschen zu verkürzen, dass Schulen und Lehrkräfte mehr Unterstützung, Fortbildung und unkompliziert Zugriff auf Unterrichtsmaterialien bräuchten.

„‚Jeder junge Mensch hat ein Recht auf schulische Bildung und Förderung. Das Recht wird nach Maßgabe dieses Gesetzes gewährleistet‘, diesen im Thüringer Schulgesetz formulierten Anspruch für alle jungen Menschen umzusetzen, ihnen damit Zukunftsperspektiven und die Chance auf ein gutes, selbstbestimmtes Leben zu eröffnen, daran arbeiten wir derzeit gemeinsam mit den Flüchtlings- und BildungspolitikerInnen der Koalitionsfraktionen und den zuständigen Ministerien. Die Kritik und Anregungen des Flüchtlingsrates sind in diesem Prozess eine willkommene Unterstützung“, so Berninger und Wolf abschließend.

 

Pressemitteilung vom Flüchtlingsrat Thüringen e.V.,17.05.2017

Strukturelle Ausgrenzung Geflüchteter im Thüringer Bildungssystem – Flüchtlingsrat Thüringen e.V. fordert Schule für Alle!

Der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. hat heute die Ergebnisse seiner aktuellen Bildungsumfrage zum Zugang geflüchteter Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener im Thüringer Bildungssystem veröffentlicht. In der 15-seitigen Auswertung der Umfrage wird deutlich, dass junge Geflüchtete in Thüringen systematisch von schulischer Bildung ausgegrenzt werden. Gudrun Keifl vom Flüchtlingsrat Thüringen dazu: „Schulische Bildung ist der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe. Ohne Schulabschluss haben Jugendliche und junge Erwachsene kaum Chancen eine Ausbildung aufzunehmen und erfolgreich abzuschließen. Es braucht daher offene Zugänge zum Schulsystem und dahingehend dringend klare Signale und Konzepte vom zuständigen Ministerium“.

Besonders dramatisch: Vielen Jugendlichen wird die Chance auf einen Schulabschluss genommen, weil sie die Schule mit Vollendung des 16. Lebensjahres zwangsweise verlassen müssen. Jugendliche über 16 Jahren werden fast ausschließlich im BVJ-Sprache oder BVJ beschult. Die Beschulungskapazitäten sind dabei völlig unzureichend und müssen dringend ausgebaut werden. Andere weiterführende Schulen wie Gymnasien und Gesamtschulen nehmen bislang kaum Geflüchtete auf, hier bedarf es dringend einer Öffnung. Ob jemand die Schule besuchen kann hängt oft von Zufall und Glück ab. Viele Jugendliche und junge Erwachsene bleiben dadurch unversorgt und haben keine Möglichkeit einen Schulabschluss in Deutschland zu erwerben.

„Das Thüringer Bildungsministerium hat bisher nicht adäquat auf die Missstände reagiert. Es gibt keine Lösungsstrategien und die bisherigen Maßnahmen sind völlig kontraproduktiv“, so Keifl weiter. So wurde mit einem Schreiben des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport vom 10.08.2016 der Zugang zum BVJ-Sprach für viele Jugendliche erschwert, da seitdem vielerorts nur noch Jugendliche aufgenommen werden, die bereits über ein bestimmtes Sprachniveau verfügen. Dasselbe Schreiben des TMBJS beschränkt zusätzlich den Zugang zum BVJ-S auf Schüler*innen bis 21 Jahre, womit ein großer Teil der über 21jährigen Geflüchteten generell von schulischer Bildung ausgeschlossen wird. Ihnen bleibt häufig nichts anderes übrig, als dauerhaft im Niedriglohnsektor zu arbeiten.

Angesichts der systematischen und teilweise gravierenden Missstände zeigt sich ein dringender Handlungsbedarf in allen Bereichen, welche den Zugang geflüchteter Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener zur Bildung in Thüringen betreffen. Daher fordert der Flüchtlingsrat Thüringen e.V.:

  • Die grundsätzliche Öffnung von Zugängen zum formalen Bildungssystem für Geflüchtete
  • Eine Auslegung der Vollzeitschulpflicht die sich nicht am Erreichen des 16. Lebensjahres festmacht.
  • Ein sofortiges Ende der Praxis, 16jährige Schüler*innen aus den Regelschulen zu nehmen
  • Die Aufnahme über 16-Jähriger in Regel- und Gesamtschulen sowie Gymnasien als Regelfall und fernab von Glück und Zufall

Die komplette Auswertung der Umfrage mit weiteren Forderungen finden sie HIER zum Download.
Der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. ist Teil der bundesweiten Kampagne „Schule für Alle! – Das Recht auf Bildung kennt keine Ausnahme“