Von Mogadischu nach Pößneck

UNZ - Thomas Holzmann

Wie der Polizist Michael Gerner jungen Geflüchteten hillft, in Thüringen anzukommen.

UMA – das ist die Abkürzung in der Beamtensprache für „unbegleitete minderjährige Ausländer“. Hinter jedem steht aber nicht nur eine Zahl in irgendeiner Behörden-Statistik. Es sind Menschen. Zwei von ihnen sind Ahmed und Abikhaer, den alle liebevoll „Bollo“ nennen, aus Somalia. Ihnen ist als Minderjährige die Flucht aus Somalia geglückt. In dem „Failed State“ (gescheitertem Staat) herrscht seit Jahrzehnten Bürgerkrieg. In Europa interessiert das niemanden. Lediglich als vor ein paar Jahren somalische Piraten erfolgreich auf Kaperfahrt gingen, berichteten die Medien. Der Westen schickte Kriegsschiffe. Aber für Ahmed und Bollo blieb es ein Albtraum. Sie und ihre Familien verkauften alles, um nach Deutschland zu kommen. Quasi noch Kinder, ließen sie ihr ganzes Leben in Afrika hinter sich.

In Deutschland ist alles anders. Und vor allem anderen steht die Sprachbarriere. Ohne Menschen, die bereit sind ihre Freizeit zu opfern, wären sie ziemlich verloren in ihrer neuen Heimat Pößneck. Zum Glück gibt es Leute wie Michael Gerner. Der Polizist aus Triptis engagiert sich seit 2015 in der Flüchtlingshilfe. Und das heißt für ihn mehr als auf einer Demo ein Schild hochhalten, sehr viel mehr.

Bei ihm und seiner Frau wohnt seit zwei Jahren ein junger Syrer, welcher ohne Eltern nach Deutschland kam und nun nicht nur ein neues Zuhause, sondern auch echte Zukunftsperspektiven hat. Derzeit absolviert Hadi aus Damaskus eine Ausbildung bei einem großen Augenoptiker. Gerner, leitet die Öffentlichkeitsarbeit im Verein Thüringer Flüchtlingspaten Syrien e.V. (siehe rechts unten). Er gründete 2018 einen Unterstützerkreis, der die finanziellen Voraussetzungen für die Nachholung eines Teils von Hadi's Familie nach Thüringen ermöglichte. Auch für Ahmed und Bollo sowie für Esmatullah aus Afghanistan versetzt er regelrecht Berge, kämpft gegen Verwaltungsirrsinn und sucht politische Unterstützung. Michael Gerner hat ein Ziel, Ahmed und Bollo einen Traum: Endlich ohne Angst vor der Abschiebung in Deutschland leben. Doch das Grundrecht auf Asyl wurde schon zu oft gestutzt. Das rot-rot-grüne Thüringen muss auf Grund von Bundesrecht in gefährliche Länder wie Somalia oder Afghanistan abschieben, auch wenn Ministerpräsident Bodo Ramelow (DIE LINKE) jeden einzelnen Fall bedauert.

Eigentlich sollte in einem Land, dass sich auf christliche Werte und Aufklärung beruft, Menschlichkeit und Grundrechte über allem stehen. Für Aktive wie Michael Gerner bleibt in der Praxis aber oft nur, auf die neoliberale Karte zu setzen. Weil die Wirtschaft in vielen Branchen Arbeitskräfte benötigt, können so vor allem junge Geflüchtete ihr Bleiberecht erkämpfen. „Aber dazu müssen sie sich auf den Hosenboden setzen und lernen“, sagt Michael Gerner mit sanfter Strenge während wir uns in der Wohnung von Ahmed und Bollo ausführlich unterhalten.

Wie von Rot-Rot-Grün durchgesetzt werden Geflüchtete in Thüringen dezentral untergebracht. In der Praxis sieht das aber meist so aus wie in Pößneck: Die Mehrheit lebt in Sozialwohnungen, die sich alle in dem selben Block befinden. „Wie sollen da Kontakte zur einheimischen Bevölkerung entstehen und Integration gelingen“, fragt Michael Gerner. Um auch hier zu helfen, gründete er die internationale Fußballmannschaft Al Karama Pößneck, wo zwischenzeitlich junge Geflüchtete aus bis zu sieben Nationen gemeinsam Fußball spielen.

Aber in unserer Arbeitsgesellschaft gelingt Integration zu allererst über den so genannten Arbeitsmarkt. Eintrittskarte dafür ist neben der deutschen Sprache ein Schulabschluss, der dann wiederum einen Ausbildungsplatz oder ein Studium ermöglicht. Gerner hat die Erfahrung gemacht, dass es bei größeren Unternehmen leichter ist. Weil Fachkräfte dringend gesucht werden und nur der Profit zählt, spielt hier die Hautfarbe oder Herkunft praktisch keine Rolle, sondern nur Wollen und Können. Für den Alltag reichen die Deutschkenntnisse oft. Aber, wenn es in die Ausbildung oder ins Studium geht, verstehen viele erstmal nur Bahnhof. Da muss Gerner seine Jungs nicht nur anschieben, sondern manchmal auch trösten und aufbauen.

Auf den alltäglichen Rassismus angesprochen wirkt es fast als würden Ahmed und Bollo über die Beleidigungen, die sie immer mal wieder erleben müssen, nur noch müde lächeln. Vielleicht aus Selbstschutz oder, weil sie im Krieg und auf der Flucht viel Schlimmeres erlebt haben. Die 13.000 Einwohner-Stadt Pößneck ist aber nicht die Bronx und auch kein übles Nazinest. Aber es gibt strukturellen Rassismus: Gerner berichtet von Erfahrungen mit kleinen Unternehmen. Der Chef meint, er hätte nichts gegen Ausländer, aber Angst davor, Kunden zu verlieren ...

Michael Gerner ist Mitglied der Thüringer LINKEN und weiß, dass die rot-rot-grüne Landesregierung für Geflüchtete die beste Konstellation ist. Trotzdem hätte er hier und da auch gerade von seiner Partei noch etwas mehr erwartet. Aber was nicht ist, kann noch werden. Und es gibt in Thüringen ja auch noch andere, die gleiche Träume haben und die selben Kämpfe führen. Zum Beispiel Ingeborg und Cordula Giewald in Ilmenau.

Und Ahmed und Bollo? Wovon träumen sie, wenn sie endlich ihr Bleiberecht haben? Ahmed würde gerne Elektrotechnik studieren und Bollo am liebsten in der Marketingabteilung einer großen Firma arbeiten. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Bollo arbeitet jetzt erst Mal zwei mal fünf Stunden in einem Netto in Jena. Und das obwohl in Somalia bei einem Anschlag seine rechte Hand zerfetzt wurde.

Ahmed, der derzeit noch bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt ist, wird ebenfalls ab August eine Ausbildung zum Systemelektriker aufnehmen.

Neben dem schwierigen Alltag ist da auch noch die Sorge um die Familien im Sudan, von denen sie teilweise seit Jahren nichts gehört haben. Ein Familiennachzug, wie es zum Teil für Geflüchtete aus Syrien möglich ist, dürfte für die Somalis aber ein Traum bleiben. Da scheint es fast realistischer, dass die „ewigen“ Bürgerkriege Afrikas, deren Ursprünge im Unrecht der Kolonialzeit liegen, ein Ende finden. Jetzt, da sich nach dem Mord am US-Amerikaner George Floyd eine neue globale Bewegung gegen Rassismus zu formieren scheint, könnte die dafür notwendige gesellschaftliche Debatte über die Geschichte der Sklaverei und des Kolonialismus zumindest die richtigen Fragen auf werfen.