Samos erwartet Solidarität

Ein privates Hilfsprojekt für Geflüchtete in Griechenland

Lenny

Repressionen und Ohnmachtsgefühle – das sind die größten Gegner im Camp. Dagegen hilft vor allem die solidarische Begegnung und Freundschaftlichkeit. 

Mitte März bat der Bürgermeister von Samos aufgrund der sich zuspitzenden Corona Krise alle NROs* Vathy, für zwei Wochen ihre Arbeit einzustellen. Aus zwei Wochen wurde ein obligatorisches Schließen sämtlicher Organisationen vor Ort auf unbestimmte Zeit. In erster Linie betraf diese Verordnung Bildungsprogramme wie Action for Education, Samos Volunteers (Alpha) oder There you go. Hier konnten bis dato Geflüchtete Sprachen lernen wie Englisch, Deutsch oder Griechisch. An einem Ort, an dem Menschen, die auf eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder hoffen, monate- oder jahrelang festgehalten werden, einem Ort, an dem neben Unsicherheit die Eintönigkeit und endlos währende Langeweile den Alltag bestimmen und die einzige Ressource, die im Übermaß vorhanden, die Zeit ist, bedeutet die Verwehrung der Möglichkeit sich zu bilden, oftmals den einzigen Sinn zu nehmen, den die Menschen in ihrem Leben unter diesen Bedingungen sehen. Selbstverständlich steht jedoch die Sicherheit der Menschen an erster Stelle.

Gerade deshalb sind die Folgen des Arbeitsverbotes von Organisationen, wie Project Armonia katastrophal. Diese NRO* hatte bis März noch täglich für 700-1000 Menschen im Camp nahrhaftes, gesundes Essen gekocht. Für Schwangere, Kranke, Alte eine wichtige Anlaufstelle.

Normalerweise bekommen Geflüchtete bis zu 90€/Monat. Ehepaare zusammen aber nur 140€ + 30€/Kind. Immer wieder kommt es zu Verzögerungen bei der Auszahlung, so dass tage- oder wochenlang kein Geld für Lebensmittel vorhanden ist. Dann sind alle auf die Essensrationen im Camp angewiesen. Diese Mahlzeiten wurden von drei auf zwei pro Tag reduziert. Und oftmals ist es nicht genug für alle. Mittlerweile sind es wieder drei Mahlzeiten täglich.

Die einzigen Organisationen, die noch arbeiten dürfen, sind das MedEqual Team und MSF (médecins sans frontières). Ab Mitte März wurde für Geflüchtete eine Ausgangssperre erhoben. Allen, die zwischen 19:00 und 08:00 Uhr außerhalb des Camps aufgegriffen würden, drohte zwei Monate Gefängnis. Ab April wurde die Ausgangssperre verschärft. Das Camp wurde de facto abgeriegelt und Geflüchtete durften nur noch mit polizeilicher Erlaubnis das Camp verlassen.

Corona-Eindämmung als zusätzliche Belastungsprobe

Geflüchtete im Camp wurden darauf hingewiesen, sozialen Abstand zu wahren und sich die Hände zu waschen. Selbst wenn in der Essensschlange jeder die Essensrationen für zwei bis drei weitere  Personen im Camp mitbringen würde, wäre sie unter Einhaltung der Hygienevorschriften (2m Mindestabstand) 4km lang. Wenn man stundenlang in einer überfüllten Warteschlange auf Essen warten muss, ist das aber kaum möglich. Atemschutzmasken wurden nicht verteilt.

Bis zum 04. Mai war die Stadt Vathy für alle nicht in der Stadt selbst wohnenden oder arbeitenden Personen abgeriegelt. Das Ziel schien darin zu bestehen, eine Ausbreitung des Corona Virus in der Stadt und dem Camp zu verhindern. Es gibt auf Samos glücklicher Weise bisher keinen bestätigten Corona Fall.

Das Leben im Lager macht krank

Die sanitäre Infrastruktur ist durch die Überlastung des Camps in desolatem Zustand. Natürlich versuchen die Menschen sich weitestgehend selbst zu helfen, aber dazu fehlen im Grunde die nötigen Ressourcen. Erschreckend ist auch die Qualität des Essens, welches ausgegeben wird (siehe Fotos). Hier sind Würmer und Sägespäne nicht unüblich.

Die Notlage von Muhammad

Muhammad ist als Opfer von Kriegsverbrechen in Syrien auf der Flucht. Seit August 2019 befindet er sich auf Samos. Erst nach 5 Monaten wurde er überhaupt als Asylsuchender registriert. Nun wartet er auf einen „Interview-Termin“, um Angaben zu seiner Flucht machen zu können. Er darf die Insel nicht verlassen. Seine gesundheitliche Lage ist durch eine Kieferentzündung extrem angespannt. Er leidet seit Wochen unter starken Schmerzen und findet keine medizinische Hilfe, da ein komplizierter Eingriff erforderlich und dazu kein Arzt bereit ist.

Feuerausbruch und Protest gegen Lagerbedingungen

Nachdem die rund 7000 Geflüchteten über Wochen im Camp eingesperrt waren, eskalierte ein Konflikt zwischen zwei Männern. In dem überfüllten Lager kommt es unweigerlich immer wieder zu kulturellen Spannungen. Die vermeintliche Ursache des Streits zwischen einem afrikanischen und einem arabischen Mann war ein Geschäft mit elektronischen Geräten, bei dem der Empfänger nicht bezahlte. Dieser Streit eskalierte in Kämpfen zwischen den Freunden der beiden Männer.

Am 26. und 27. April kam es zu mehreren Feuerausbrüchen, die sich im Lager rasend schnell verbreiteten. Dabei sind annähernd zweihundert Zelte den Feuern zum Opfer gefallen. Durch die Kämpfe und das Feuer kam es zu Verletzten, die ins Krankenhaus mussten. Mehrere Palästinenser wurden in Folge des Feuers von der Polizei verhaftet. Deren Freunde erklären, sich von der Polizei diskriminiert zu fühlen, welche behauptete: „Die Palästinenser sind Teil der Mafia.“ 

Alle Geflüchteten, deren Zelte verbrannten, suchten auf dem Platz vor dem Lager Schutz. Organisationen wie Refugee for Refugees versorgten die Menschen mit Zelten und Decken. Privatpersonen versuchten in den folgenden Tagen die Geflüchteten mit Essenspaketen, Kleidung oder Hygieneartikeln, also die Menschen mit dem Nötigsten, zu versorgen.

Durch die miserable, vollkommen unzureichende Versorgungslage sind Geflüchtete im Camp zwangsläufig auf Unterstützung von Hilfsorganisationen angewiesen. In der Hoffnung, in bessere Unterkünfte zu kommen oder Samos endlich entfliehen zu können, verließen ebenfalls viele Familien das Lager, deren Zelte vom Feuer unberührt geblieben waren.

Während des letzten Feuerausbruchs im Flüchtlingscamp im Oktober 2019 wurden die Menschen, die ihr Hab und Gut verloren hatten, seitens der „Campleitung" unterstützt. Dies erfolgte jetzt nicht. Zwar sprach der neu ernannte Campmanager den Betroffenen sein Mitgefühl aus - die zum Teil all ihren Besitz erneut verloren hatten. Gleichzeitig forderte er sie jedoch auf eine Liste zu erstellen, um sie erneut in dem überfüllten Lager einzuquartieren. Mit der Forderung auf bessere Lebensbedingungen für alle Campbewohner, verharrten die Geflüchteten schließlich auf dem Platz außerhalb des Lagers, ohne den Forderungen des Campmanagers nachzukommen. Am 8.Mai räumte die Polizei schließlich den Platz, mit der Begründung „sie würden die Anwohner stören“. Alle Campbewohner mussten zu ihren alten Plätzen im Camp zurückkehren.

Bei einem Großteil der verbrannten Zelte handelte es sich um „Civil Protection Tents“ oder zumindest um wind- und regengeschützte Zelt-Hütten aus Planen und einfachen Holzleisten, die von den Bewohnern selbst konstruiert worden waren. Bisher wurde nur ein einziges Civil Protection Tent wieder errichtet. Es bleibt nichts als einfache Campingzelte. Bei einem starken Sturm am Freitag, den 22. Mai wurden wiederum viele dieser einfachen Zelte stark beschädigt.

Nach dem Feuerausbruch wurden die Ausgangssperren mehr oder weniger aufgehoben. Mit der Auflage Atemschutzmasken zu tragen dürfen sich Flüchtlinge frei in der Stadt bewegen, müssen aber nach 19 Uhr ins Camp zurückkehren. Polizeistreifen mit Sirenen fahren abends den Hafen entlang und schicken Geflüchtete zurück ins Camp.

Seit Montag, dem 18.Mai sind die Asylbehörden wieder geöffnet. Während die ersten ihre Opencard erhalten und damit nach monatelangem Warten Samos verlassen können, gab es in den letzten beiden Wochen eine Vielzahl an Ablehnungen des Asylgesuchs. Darunter Menschen aus Afghanistan, deren Leben durch die Taliban bedroht ist, und ganze Familien aus Syrien. Mit dem Hinweis versehen, man könne sich an einen Anwalt wenden und innerhalb von 10 Tagen Beschwerde gegen diese Entscheidungen einlegen, droht diesen Menschen die Abschiebung in Kriegsgebiete. Örtliche Anwaltskanzleien sind überlaufen.

*NRO -Nicht Regierungsorganisationen

Bilder aus dem Lager

Fotos: SOS Samos/Len